Eröffnung am 09. März um 18 Uhr
Öffnungszeiten
09.03. - 09.04.2023
zu sehen Mittwochs 17:00 - 19:00
Auf den Ausstellungstitel Bridge for the blind stieß Cécile Lempert bei ihrem Aufenthalt in Südkorea im Spätsommer 2022, als sie an einer Stelle des Cheonggyecheon, einem Fluss, der als öffentlicher Erholungsraum durch das Zentrum von Seoul verläuft, eine verblasste Inschrift fand, die – so mutmaßt man – auf eine ehemals dort befindliche, heutzutage jedoch verschwundene Brücke verweist, die Brücke für Blinde.
Die Brücke versinnbildlicht die transkulturelle Begegnung, welche das übergeordneteThema der ausgestellten Arbeiten darstellt, und erhält einen befremdlichen Zusatz – scheint doch eine Brücke ein denkbar gefährlicher Ort für eine*n Blinde*n zu sein – sowie ferner eine innere Widersprüchlichkeit, wenn man die Brücke als Anspielung auf den Sehstrahl, als Metapher für das Erkennen als solches bestimmt.
Die friesartige Anordnung der Porträtmalereien in der BauSchau Essen spielt auf eine mögliche Kontinuität von Einzelbildern innerhalb eines gemeinsamen Narrativs an, dessen Bruchstellen und Leerstellen wie rätselhafte Lücken einer fehlerhaften Filmrolle das Tatsächliche ungewiss erscheinen lassen. In diesem Sinne wird die Memorialfunktion der Porträtmalerei in den Arbeiten Lemperts invertiert und zeigt sich eben nicht als Bemühung, die Anwesenheit einer Person einzufangen und ihre Präsenz zu konservieren: die körperlose, fluide Malweise Lemperts inszeniert vielmehr die Auseinandersetzung der Künstlerin mit der Unmöglichkeit, dieser Präsenz habhaft zu werden, und führt uns die Fragilität eines Augenblicks anstatt der andauernden Zeitlosigkeit personeller Identität vor. Durch die Wiederholung von Bildelementen und die kompositorische Relativierung der dargestellten Personen herrscht in den ausgestellten Arbeiten, obwohl sich Lempert mit der Darstellung von Gesichtern und Blicken beschäftigt, eine eigentümliche Abwesenheit und Leere.
Statt einer restlosen Vergewisserung bezeugen die Malereien einen Prozess, innerhalb dessen die porträtierten Personen und dargestellten Dinge im Versuch des Erfassens sich selbst zu verändern beginnen, sie werden zu einem Akt der Übersetzung, bei dem sich Sender*innen und Empfänger*innen in Unverständnis entgegentreiben, man könnte auch sagen: zu einer Brücke für Blinde.
Melissa Blau
Fotos: Jana Buch