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Preview zur Ausstellung “Petöfis Leichnam” in der BauSchau Essen.
Tomoya Imamura versucht in seiner Ausstellung eine ungarische Gegenwart zu umschreiben, deren postsozialistische Realität eine neue Form des Nationalismus nährt. Die Perspektive des Verlierers prägt nach jahrhundertelanger Fremdbestimmung die Identität des Landes und führt heute zu einer Wiederentdeckung und Neuerfindung der eigenen Geschichte. Vorchristliche Sagen und Heldengeschichten aus den vielen gescheiterten Revolutionen stärken das Selbstbewusstsein eines Volkes, welches sich nicht länger in einer europäischen Nebenrolle sehen will.
In dieser Bildreihe werden dokumentarfotografische und inszenierte Bilder kombiniert, wodurch eine Parallele zu der Realität und Inszenierung der Gegenwart geschaffen werden soll. Teil dieser Inszenierung sind Pappmaschéobjekte, die zum Teil ungarische Nationalsymbolik, zum Teil osteuropäische Klischees, sowie kommunistische Symbolik darstellen. In Szenen und Portraits werden Alltagssituationen dargestellt, in welche sich diese Symbole einfügen. Sie dienen als weiße Projektionsfläche oder ausgebrannte Form. Für Außenstehende sind die Objekte beinahe der einzige direkte Verweis auf Ungarn, wobei die dargestellte Nationalsymbolik für solche nicht mehr Aufschluss bietet als der gelegentliche Schriftzug in ungarischer Sprache. Die Verortbarkeit bleibt dadurch im osteuropäischen Raum und betont den kommunistischen Schleier, der den ehemaligen Ostblock in uniformen Beton gegossen hat.
Die postsozialistische Entwicklung findet sich ebenso in den Details der Raumbeschreibungen. So zieren Gebäude zum Beispiel „mediterrane“ Farben und Dekorationselemente, weil spanische Telenovelas in den Neunzigern den neuen selbstbestimmten Wohnstil prägten. Dieser südländische Orangeton und das sozialistische Minzgrün der Siebziger zieht sich durch die gesamte Arbeit und findet sich leicht gebrochene in den Klappen des Buches wieder.
Auf dem Titel des Buches, sowie auf einigen der Bilder wiederholt sich auch der 1kg Laib Weißbrot, welcher einerseits das standardisierte Überbleibsel des Sozialismus ist, andererseits gerade durch den Titel „Petőfis Leichnam“ auf den Leib Christi verweist und die christlichen Bezüge der rechten Bewegung miteinbezieht.
Petőfi war Ungarns Nationaldichter und Märtyrer während der Revolution 1848 gegen Österreich. Seine patriotischen Gedichte werden noch heute in Schulen auswendig gelernt, jedoch verbleiben sein Tod und dessen Umstände bis heute unklar. Vermutlich wurde er nach einer Schlacht auf der Flucht von einem russischen Soldaten erschlagen, was seinem prominenten Aufruf zum Heldentod widersprechen würde. Diese scheinbar unbedeutende Unklarheit und der Pathos, der seinen Namen umgibt, beschreiben zugleich auch das nationale Empfinden Ungarns.
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